Schnarch mich an!


Dieser Artikel erschien am 21.08.2022 auf zentralplus.
Bild: Dex Ezekiel – unsplash

Die meisten fühlen sich davon gestört, viele genervt, einige trennen deswegen ihre Schlafzimmer oder sich gar als Paar. Unverständlich, finde ich.

Heimelig und tröstlich kann es sein, wenn der Partner, das Kind, oder eine gute Freundin neben einem schnarchen. Dieses regelmässige «Gchhhhhh ... – chhhhhhh …», ein Zeichen von Nähe. Ein Gefühl von Behaglichkeit und Geborgenheit, aber auch davon, die wachende Hüterin über den Schlaf eines anderen Menschen zu sein.

 

Selbst in Hostels, wo sich in einem verdunkelten 16er-Schlag, mit müffelnden Spannteppichen und nur einem Klo, vierzehn Männer und zwei Frauen versammeln, kann das Schnarchen ein Lichtblick sein. Die Versöhnung mit Gestank und Gepöbel. Plötzlich scheinen die betrunkenen, teils etwas gar zwielichtigen Typen, mit welchen man sich die Nacht teilt, ganz harmlos. In ihrem Schnarchen zeigen sie sich ausgeliefert, vollkommen entspannt und auch fast etwas kindlich und drollig in ihren unkontrollierten Geräuschen. Jemanden schnarchen zu hören, birgt Intimität und lässt die distanzierte Beziehung zu einem fremden Zimmergenossen fast familiär werden. Lässt den fremden Mann ungefährlich werden. Aber lassen wir dieses Fass für heute zu.

 

 

Ein gemeines Phänomen

 

Mit der Haltung, Schnarchen sei etwas Schönes, ist man alleine auf weiter Flur. «Sowas habe ich noch nie gehört», sagt Jonas Zehnder, Leitender Hals-Nasen-Ohren-Arzt im Luzerner Kantonsspital.

 

Und das, obwohl Schnarchen weit verbreitet ist. Fast jeder schnarcht ab und zu. Bei einer Erkältung zum Beispiel, oder nach einem feucht-fröhlichen Abend kommt es zu einer Vibration der Weichteile im Rachen – man schnarcht. Viele Menschen tun dies praktisch jede Nacht und teilweise in beeindruckender Lautstärke. Einer Schweizer Schlafstudie zufolge bringt es der Durchschnittsschnarcher auf 50 Dezibel.

 

Statistiken zufolge schnarchen rund 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung jede Nacht. Risikofaktoren sind neben dem männlichen Geschlecht und dem zunehmenden Alter auch der Konsum von Alkohol und Nikotin sowie erhöhtes Körpergewicht. Bei älteren Männern sind es ungefähr 60 Prozent, die regelmässig schnarchen, bei Kindern in etwa 10 Prozent. Frauen holen nach der Menopause auf.

 

 

Wer leidet

 

 

Unterschieden werden zwei Arten des Schnarchens: Einerseits das normale, habituelle Schnarchen, gesundheitlich unbedenklich, andererseits das sogenannt apnoische Schnarchen, das mit Atemaussetzern verbunden ist, und massive Beschwerden nach sich ziehen kann.

 

Aus medizinischer Sicht sei das habituelle Schnarchen, das zwei Drittel betreffe, nicht unbedingt zu behandeln, so Jonas Zehnder. Gefährlich für die Schnarcherin ist es nicht. Da es aber oft für Menschen zum Problem werde, die das Bett mit den Schnarchern teilen, wird trotzdem viel versucht.

 

Fakt ist, dass Frauen öfters einen leichteren Schlaf haben und Männer öfters schnarchen. Das mache sich bei den Patienten bemerkbar, so Jonas Zehnder: «Die meisten werden von ihren Partnerinnen zu uns geschickt.»

 

 

Dramatisches Marketing

 

Oft kann man das habituelle Schnarchen bereits durch den Verlust von Übergewicht vermindern, das Reduzieren von Alkoholkonsum und Rauchen. Auch die Konditionierung auf das Schlafen in Seitenlage kann helfen, Unterkieferschienen oder spezielle Gaumenspangen, so Jonas Zehnder.

 

Doch der Markt an Anti-Schnarch-Produkten geht weit darüber hinaus: Schnarchclip, Schnarchblättchen und Nasenspreizer, Nasenpflaster, Kinnriemen, Schnarchstoppkissen oder gar Antischnarch-Shirt mit integriertem Luftkissen. Schlaflabor, Apnoe-Screening, Singübungen oder sogar Didgeridoo-Spielen.

 

Da wundert es nicht, dass auch ein Interesse daran besteht, das Schnarchen möglichst schlimm darzustellen. Eine Frau, die genervt, beinahe wutentbrannt, ein Kissen sich auf die Ohren drückt – es ist wohl das erste, was man mit dem Schnarchen bildhaft verbindet. «Das Schnarchen zu dramatisieren, ist natürlich auch Marketing», sagt Jonas Zehnder.

 

Was nicht heissen soll, dass Schnarchen – sowohl das habituelle, als auch das mit Apnoe verbundene – nicht wirklich ein grosses Problem sein kann.

 

 

Kampfschauplätze

 

Wichtig sei, dass man differenziere, sagt Paartherapeutin Caroline Fux, zum «häufigen und heissen Thema» Schnarchen in Paarbeziehungen. «Ob das Schnarchen zum Problem wird, hängt stark davon ab, wie leicht das Gegenüber einschlafen und durchschlafen kann.»

 

Es gibt Leute, die von dem Geräusch, das teilweise sehr heftig sein kann, in ihrem Schlaf massiv gestört werden. «Und wer seriell nicht schlafen kann, das muss man niemandem erklären – schon gar nicht jungen Eltern – kann nach wenigen Tagen vom Mensch zu Monster werden», so die Psychologin und Sexologin mit Praxis in Baar. Das sei ein handfestes, reales Problem. «Da kann das Schlafzimmer zum Kampfschauplatz werden.»

 

Nicht unverständlich, wenn man lernt, dass gewisse Menschen beim Schnarchen auf Rekordwerte von 93 Dezibel aufdrehen, was dem Lärmpegel einer Holzfräsmaschine entspricht. Und bei apnoischem Schnarchen kann besonders die Unregelmässigkeit der Geräusche an den Nerven zehren.

 

 

 

Operation Zungenschrittmacher

 

Hier gibt es unterschiedliche Therapien, wie Schlafapnoemasken, die mit Überdruck arbeiten, oder in letzter Konsequenz sogar Zungenschrittmacher. Ein Gerät, welches operativ implantiert wird. Dabei reagiert eine Sonde auf den Schlaf der Betroffenen, stimuliert den Zungenmuskel und verhindert, dass dieser im erschlafften Zustand nach hinten rutscht. Weltweit seien bereits über 20’000 Zungenschrittmacher eingesetzt worden, so Jonas Zehnder – auch das Luzerner Kantonsspital habe damit gute Ergebnisse erzielt.

 

Eingesetzt werden die jedoch nur bei Apnoe. Beim habituellen Schnarchen muss oft selbst nach Lösungen gesucht werden.

 

 

Ruhe statt Reichweite

 

Eine Trennung der Schlafzimmer, sagt Caroline Fux, soll man auf keinen Fall verteufeln. «Ich habe lieber ein Paar vor mir, bei dem beide ausgeruht sind, anstatt eines, das in Liebe, aber komplett am Ende ist.» Besonders mit dem Alter werden getrennte Schlafzimmer öfters Thema. Dafür kann das Schnarchen auch als Ausrede dienen. Vielleicht hat man einfach einen andere Tagesrhythmus und ist deshalb froh um die Unabhängigkeit beim Einschlafen und Aufstehen.

 

Wichtig sei bei dieser Lösung einfach, dass man den fehlenden Kontakt während des Schlafens auf eine andere Art ausgleiche. Denn dieser sei nicht zu unterschätzen, sagt Fux: «Getrennte Schlafzimmer haben Distanzierungspotenzial.» Ein Ritual vor dem Ins-Bett-gehen könne helfen. «Es geht darum, den Beginn und das Ende des gemeinsamen Tages zu teilen.» Oder man versuche an anderen Orten und zu anderen Tageszeiten stärker in Kontakt zu treten.

 

 

Flucht vor Intimität

 

Es ist ein breites Spektrum von Situationen, die Caroline Fux als Paartherapeutin im Zusammenhang mit dem Schnarchen begegnet: «Einer leidet, oder beide leiden, dies bei grosser Liebe und Verbundenheit oder auch nicht.»

 

Es gibt auch Fälle, da kann das Schnarchen unerträglich werden, weil man die Person einfach nicht mehr so nah bei sich haben will. «Wenn ich die Nähe und die Intimität mit jemandem nicht mehr aushalte, kann das Schnarchen eine willkommene Ausrede sein.» Diese Szenarien gäbe es auch, es werde jedoch kaum darüber geredet. Teilweise werden Schnarcher auch regelrecht von ihrem Gegenüber gegängelt, von Trainings zu Produkten und Operationen gedrängt, dass es teilweise drangsalierend wirke.

 

Schwierig sei beim Thema Schnarchen erstmal, dass man als Betroffene keine Kontrolle über die Situation habe, das Ausmass und die Konsequenzen oft nicht einschätzten könne. Gleichzeitig befindet sie sich auch in einem sehr verletzlichen Zustand.

 

«Dem eine Intimität und damit eine positive Konnotation zuschreiben kann vielleicht tatsächlich helfen», sagt Caroline Fux. Diese Seite bleibe durch den dominierenden negativen Diskurs oft vergessen. Doch einen Versuch sei es bestimmt wert, das Schnarchen als white noise zu erleben zu versuchen.

 

 

Schnarchen in der Evolutionstheorie

Einem Schweizer namens Franz Theiler wird die Theorie zugesprochen, Schnarchen sei das Ergebnis einer positiven evolutionären Auslese. Demnach war Schnarchen ein «Abschreckungsmechanismus», als der Mensch noch nicht in festen Behausungen lebte, sondern unter freiem Himmel übernachtete, schützte er sich durch die Schnarchgeräusche vor Angriffen wilder Tiere. Wer schnarchen «konnte», überlebte eher.

 

Genau umgekehrt sah das der Amerikaner Paul Niquette. Auch er ging von der Frühzeit aus, dem Schlafen unter freiem Himmel in Gruppen. Er fokussierte sich dabei jedoch darauf, dass ältere Menschen häufiger schnarchen. Er vertritt die Theorie, dass die Schnarcher damit die Aufmerksamkeit der wilden Tiere auf sich zogen und zur Beute wurden. Die Jungen, Starken und Fortpflanzungsfähigen hingegen überlebten.

 

Denkt man die zweite Theorie weiter, müsste man sich wohl dieser anschliessen. Dies auch, da Männer eher schnarchen, und bekanntlich braucht es weniger Männer für den Erhalt der Spezies. Zudem führt ein ungesunder Lebensstil zu verstärktem Schnarchen. Und weniger kranke Mitglieder waren wohl für das Überleben einer Gruppe auch eher förderlich.