Endo Anaconda vor dem Luzerner «Doorzögli». (Bild: Jana Avanzini)

«Ich bin einfach Weltfühlig»

Das komplette Interview erschien im Oktober 2018 auf zentralplus.ch.

Ein Blick durch das schmale Fenster zeigt: Er sitzt bereits in der Eckbank und nippt an einem Cappuccino. Vor ihm auf dem Tisch ein Zigarettenetui aus Leder, auf dem Kopf sein Hut. Endo Anaconda wirkt, als sei er auf einem Kurzurlaub in Luzern zu Besuch. Kein Wunder, denn Interviews scheinen ihm definitiv Spass zu machen.


Endo Anaconda, das erste Mal im «Doorzögli» – das verwundert. In welchen Beizen trifft man Sie denn sonst so an?


Endo Anaconda: Ich bin kein grosser Beizengänger mehr. Als es letztes Jahr mit den alten Hasen auseinanderging, war ich gesundheitlich nicht gut beieinander. Jedes Mal in Bern im Ausgang bin ich abgestürzt. Denn wenn dich jeder kennt, hältst du das nüchtern nicht aus. Doch hätte ich mich nicht zurückgenommen, gäbe es jetzt wohl keine neue Band, kein neues Album. Ich habe auch festgestellt, dass ich nach Konzerten oft fast soziophob bin. Ich bin auch gar keine Partynudel. Nur auf der Bühne bin ich wahnsinnig …


Wo trifft man Sie eigentlich, wenn Sie bei uns in der Stadt weilen?


Anaconda: Ich bin ein Rebstock-Fan – seit Jahren. Dort sind die Kügelipastetli super. Ansonsten bin ich eher beruflich hier. In der Schüür oder auf dem Kulturhof Hinter Musegg bei Pia. Oder ich fahre auf einem Dampfer an der Tellsplatte und dem Rütli vorbei und rezitiere Schiller – wie damals als Kind mit meinen Grosseltern. Das ist ein Teil meines emotionalen Patriotismus. Wir haben auf jeden Fall einen netten Nationalmythos.

 

«Für mich ist das Gründungsdatum der Schweiz 1971.»


Finden Sie?


Anaconda: Nun. Die Franzosen haben ihre Adligen geköpft, Italien hat ebenfalls seine recht blutige Geschichte und über Deutschland wollen wir gar nicht erst reden. In der Schweiz wurde einfach gut auf einen Österreicher geschossen. Das liegt noch drin, finde ich.


Sie sind also unerwarteterweise patriotisch?


Anaconda: Eher matriotisch. Für mich ist das Gründungsdatum der Schweiz 1971. Als das Frauenstimmrecht eingeführt wurde.


Sie sind ein Feminist?


Anaconda: Äch, heute sind doch alle feministisch. Nein. Ich finde einfach, heute müsste es eigentlich einen hundertprozentigen Frauenbundesrat geben. Und dann irgendwann halb halb.


Und wie stehen Sie zur Kirche?


Anaconda: Man sollte ihr die Kinder wegnehmen. Oder auch, was der Papst jetzt wieder rausgelassen hat. Er stellt Frauen, die abtreiben, als Mörderinnen dar. Ich kenne keine Frau, die aus Spass abgetrieben hat. Und er sitzt da in diesem Vatikanfilz von Zuhältern. Ich hatte am Anfang Sympathien für Franz. Aber damit macht er sich viel kaputt. Nun. Es ist nicht meine Kirche.


Welches ist Ihr Verein? Haben Sie überhaupt ein Faible für Fussball?


Anaconda: Für Frauenfussball, ja. Das ist intelligenter Fussball, ohne Grössenwahn, aber mit Sportsgeist. So, wie ich Fussball mag. Da bin ich wirklich Feminist. Sonst stösst mich Fussball mittlerweile richtig ab. Diese Gorilla-Posen, das ständige Gefoule und gespielte Leiden. Und diese massive Korruption.

 

«Gute Kunst ist nicht wertfrei und unpolitisch.»

 

«Der Mensch sehnt sich nach Katastrophen», singen Sie auf dem neuen Album und schlagen mit der Zeitung Fliegen tot. Sind Sie der Berichterstattung müde?


Anaconda: Ich bin einfach weltfühlig. Der Planet ist die Titanic. Unten versaufen sie schon, in der Mitte – den Schwellenländern – rudern sie noch. Und wir sitzen in der Captains Lounge, halten die Wellen klein und veranstalten einen Fondue-Plausch.


Und in der Schweiz sehe ich nur Nabelschau. Alle sind urchig und jödeln ein bisschen. Nichts dagegen, aber es zeigt unsere Haltung. Gute Kunst ist nicht wertfrei und unpolitisch. Sie bezieht gesellschaftliche Realitäten ein.

 

Und was sagt Ihre Kunst politisch? Was braucht es?


Anaconda: Neue Konzepte statt Scheuklappen. Aber dafür müsste man rausschauen. Nicht nur auf sich selbst. Wie bei den Klimaabkommen. Niemand hält Vereinbarungen ein, die USA steigt aus. Manchmal kommt es mir vor wie bei einem Flugzeugabsturz. Es brennt und alle suchen ihre Handtasche und ihr Handy, anstatt mit anderen Menschen rauszugehen und den Brand zu löschen. Währenddessen reden alle von künstlicher Intelligenz. Mir würde schon eine normale Intelligenz reichen.


Sie sind kein Fan der digitalen Welt?


Anaconda: Suchmaschinen sind schon etwas Hilfreiches, für geografisches Wissen oder wenn man zwischen all den Büchern ein Zitat nicht mehr findet. Aber ich habe weder Handy noch Computer. Ich schreibe mit Füllfederhalter und über meine Tochter gelangt es dann in den PC. Für mich hat diese Technisierung und Digitalisierung auch viel mit Enthumanisierung zu tun.


Inwiefern?


Anaconda: Was will ich einen Kühlschrank, in welchem automatisch mein Lieblingsjoghurt wieder aufgefüllt wird? Ich liebe das Einkaufen, den Kontakt mit den Leuten im Laden. Dann schäkere ich mit der 70-jährigen Kioskfrau und vielleicht, wenn ich Glück habe und den richtigen Tag erwische, kann ich ihr manchmal sogar ein Lächeln abgewinnen. Aber ich glaube – oder hoffe –, dass die Entwicklung kommt und die Leute wieder merken: Menschen sind toll.


Wer ist Ändu Anaconda?


Endo Anaconda wird als Andreas (Ändu) Flückiger 1955 als Sohn einer Österreicherin und eines Schweizers in Burgdorf geboren und verbringt den ersten Teil seiner Kindheit in Biel. Mit zwölf Jahren kommt er in ein Internat in Klagenfurt, wohin die Familie schliesslich auswandert. Er verbringt weiterhin seine Sommerferien bei den Grosseltern im Emmental.
Nach einer Lehre als Siebdrucker in Wien kommt er Anfang der Achtziger wieder zurück in die Schweiz und arbeitet zwei Jahre lang im Shoppyland Schönbühl als Hubstaplerfahrer. Nach dieser Zeit schreit er sich ohne Monitoring durch verschiedene erfolglose Projekte. 1989 gründete er mit Balts Nill das Duo Stiller Has.
Endo hat drei Kinder, ist im Emmental zu Hause und Wochenaufenthalter in Aarau.